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Das Colosseum auf dem Weg in die Moderne
Das Colosseum auf dem Weg in die Moderne
Der Verfall begann. Das Untergeschoss füllte sich mit Schutt. Rom hatte immer weniger Einwohner, im Frühmittelalter verlagerte sich das Zentrum - und plötzlich lag das Amphitheater am Stadtrand. Die ersten "Mieter" bezogen das Gebäude. Sie nutzten Gewölbe als Wohnräume, unterteilten Gänge in Ställe, bauten Unterstände für Karren und Geräte. Händler boten ihre Waren feil. Wo früher Gladiatoren starben, bauten die Römer nun Häuschen mit Garten.
Tausend Jahre nach Baubeginn erwähnen Urkunden erstmals das Gebäude mit dem Namen Colisaeus. Kaiser Nero hatte einst eine 35 Meter hohe Statue aufstellen lassen - sein Ebenbild, dem Koloss von Rhodos nachempfunden. Nach Neros Tod aber sollte nichts mehr an den Tyrannen erinnern. Vespasian ließ der Skulptur einen Strahlenkranz aufsetzen und weihte sie dem Sonnengott. Jahrhunderte lang stand dieser Koloss neben dem Amphitheater. Nach ihm nannte man das Bauwerk nun Colisaeus, und daraus wurde später Colosseum. Die Menschen im Mittelalter lasen zwar in antiken Schriften von Spektakeln - aber die Statue ließ sie vermuten, beim Colosseum habe es sich um einen Tempel gehandelt, in dem ein Sonnengott über Blitz, Donner und Regen herrschte.
Im 12. Jahrhundert gewann der kolossale Bau wieder an strategischer Bedeutung. Eine der einflussreichsten Adelsfamilien Roms waren damals die Frangipane. Sie nutzten das alte Zentrum der imperialen Macht auf ihre Weise: verschiedene Zweige der Familie hatten Paläste in die antiken Ruinen gebaut. Als im Jahre 1130 zwei Gegenpäpste gewählt wurden, setzten sie auf den siegreichen Kandidaten. Im Auftrag von Innozenz II. bauten sie das Colosseum zu einer Festung um. Der Sitz des Papstes lag damals nur einen Steinwurf von der Arena entfernt im Lateranpalast.
Vierhundert Jahre später - Oktober 1517: Ein deutscher Theologieprofessor namens Martin Luther schlägt 95 Thesen an die Schlosskirche im fernen Wittenberg. Er verlangt eine Reform der römischen Kirche - und löst damit einen Glaubenskrieg aus. Diesen Krieg führt man nicht nur mit dem Schwert: Die propaganda fidei, die Schlacht zur Verbreitung des Glaubens schlägt die römische Kirche auch mit dem Wort. Sie besinnt sich dabei auf ihre Anfänge: das Martyrium. Auch wenn keine Belege dafür existieren, dass die Römer im Colosseum wirklich Christen den Löwen zum Fraß vorgeworfen hatten - für die Kirchenfürsten war das Colosseum ein machtvolles Symbol. Genau hier sollte der christliche Glaube über die antike Weltmacht gesiegt haben.
Um 1700 entwarf Carlo Fontana ein gigantisches Projekt. An der Stätte des Martyriums brauchte man eine Kirche. Inmitten des verwitterten Amphitheaters sollte sie stehen, die Kuppel auf Augenhöhe mit der Ruine, ein Arkadengang sollte die Bögen des Colosseums architektonisch fortführen. Das Projekt aber wurde nie verwirklicht. Es war selbst für die Päpste zu teuer. Stattdessen führte man nach über tausend Jahren wieder Schauspiele auf - jetzt die Passionsgeschichte. Papst Benedikt XIV. ließ in die eindrucksvolle Kulisse einen Kreuzweg bauen. 14 Stationen erinnerten an die Leiden Christi, in der Mitte der Arena stand ein großes hölzernes Kreuz.
Im Jahre 1750 erklärte Benedikt das Colosseum zur Gedenkstätte für christliche Märtyrer. Ein Glück für die Nachwelt - denn inzwischen war der Bau zum bequemen Steinbruch mitten in der Stadt geworden. Selbst für den Petersdom bediente man sich hier. Marmor, Travertin, aber auch Eisenbeschläge waren höchst begehrt. Erst das Edikt des Papstes verhinderte, dass das Gebäude vollkommen geschleift wurde. Was übrig war, war nun offiziell eine Kirche.
Im Laufe des nächsten Jahrhunderts entdeckten die gebildeten Eliten Europas das Gebäude für sich. Johann Wolfgang von Goethe beschrieb seine Eindrücke in der "Italienischen Reise":
"Alles Einzelne wird von den großen Massen des Lichts und Schattens verschlungen. […] Einen vorzüglichen schönen Anblick gewährt das Colisee. Es wird nachts zugeschlossen, ein Eremit wohnt darin an einem Kirchelchen, und Bettler nisten in den verfallen Gewölben. Sie hatten auf dem flachen Boden ein Feuer angelegt. Und eine stille Luft trieb den Rauch erst auf der Arena hin, dass der untere Teil der Ruinen bedeckt, und die ungeheuren Mauern oben drüber finster herausragten."
Das Colosseum wurde zur Pflichtstation auf der Grand Tour, der europaweiten Bildungsreise von Adel und Bürgertum. Da wollte man keinen schlechten Eindruck bei den Fremden hinterlassen. Papst Pius VII. ließ Anfang des 18. Jahrhunderts erstmal richtig aufräumen. Die Inschrift unter einem Fresko im Vatikan erinnert daran:
"Das mit Märtyrerblut getränkte flavische Amphitheater von Schutt befreit."
Dann setzte er eine Kommission ein, um die Ruine zu sichern. Es war höchste Zeit.
Heinz-Jürgen Beste, Architekturhistoriker, Deutsches Archäologisches Institut (DAI):
"Das Colosseum besteht aus sieben großen Ringen, und wenn so ein Ring einmal offen ist, an einer Seite und der Druck, der horizontale Schub, besteht weiterhin, dann bricht immer wieder was von den Enden ab. Und die Maßnahme wurde notwendig, um dieses weitere Abbrechen zu verhindern."
Verschiedene Lösungskonzepte wurden geprüft.
Heinz-Jürgen Beste:
"Die Kommission hat sich dann für das von Stern entschieden, der davon ausgegangen ist, dass man eben auch in der stürzenden Situation die drei Arkaden noch retten kann und hat diese drei Arkaden vermauert - und ein großes Widerlager, diesen enormen Sporn da drangesetzt, der allerdings heute problematisch ist, weil er nicht die Krümmung des Gebäudes aufnimmt, sondern sich wirklich gradlinig dagegen setzt."
1827 baute der Architekt Giuseppe Valadier drei Arkaden an der Südwestseite wieder auf, vier Jahre später rekonstruierte Gaspare Salvi an der Südseite acht Bögen des dritten Rings, der inzwischen eingestürzt war. Nun hatte die Wissenschaft ihren Siegeszug angetreten. Erste Ausgrabungen legten das Untergeschoss frei, der ursprüngliche Zustand sollte wiederhergestellt werden. Die Archäologen sprachen der Kirche die Deutungshoheit ab.
Im Jahre 1870 wurde der italienische Nationalstaat gegründet - und lag fortan mit der Katholischen Kirche im Konflikt. Schon die Befreiungsbewegung, das Risorgimento, hatte den Kirchenstaat aufgelöst. Die neue Regierung störte sich an Kreuzweg und Kruzifix in der Arena. Sie würden dem ganz und gar paganen Charakter des Monuments widersprechen, sagte der Bürgermeister von Rom 1874. Der Papst drohte mit Exkommunikation - doch das letzte Aufbäumen war vergeblich. Das Colosseum war wieder weltlich geworden.
Einige Jahrzehnte später machte es Mussolini zur Krönung seiner Prachtstraße, der Via dell'Impero. Was einst den Triumph des Christentums symbolisiert hatte, wurde nun zur Kulisse für Aufmärsche der Faschisten. Aber Mussolini war an einer Aussöhnung mit der Kirche interessiert. 1929 unterzeichnete er die Lateranverträge, und als kleine Geste kehrte das Kreuz ins Colosseum zurück.
Heute besuchen jedes Jahr Millionen von Touristen das Monument. Sie alle sind fasziniert vom Glanz eines längst vergangenen Imperiums, von der Aura wilder Bestien und todesmutiger Gladiatoren - aber auch von der schieren Größe des unsterblichen Bauwerks.
Heinz-Jürgen Beste:
"Wenn man mal einfach vor dieser Fassade steht, die 50 Meter hoch ist, zu sagen, dass das schon vor 2000 Jahren errichtet worden ist und noch heute in einer Stadt steht, die eigentlich eine moderne Stadt ist, mit all den Problem des Verkehrs, der Anbindung, der Müllentsorgung und der schlechten Luft. Da steht einfach dieses Riesengebäude mittendrin und beansprucht nach wie vor, ein zentraler Punkt in der Stadtgeschichte zu sein."
Rosella Rea, Direktorin des Colosseums:
"Ich verstehe, warum die Touristen den Besuch des Amphitheaters als etwas Besonderes empfinden. Für sie ist es keine gewöhnliche Besichtigung eines Museums, für sie ist es eine Lebenserfahrung."
Und bis heute gilt, was vor tausenddreihundert Jahren der Mönch Beda Venerabilis schrieb:
Dum colosseum stabit, Roma stabit; dum Roma stabit,
mundus stabit.
Solange das Colosseum steht,
wird Rom stehen.
Solange Rom steht,
wird die Welt bestehen.