Das Colosseum unter Wasser
Die Römer hatten schon immer ein besonderes Verhältnis zum Wasser - gründete doch ihre Macht auf der Herrschaft über die Seewege im Mittelmeer. Elf Aquädukte mit einer Gesamtlänge von 400 km versorgten die Millionenstadt Rom mit Trinkwasser - eine Meisterleistung römischer Ingenieure. Auch im neuen Amphitheater war klar: 50.000 Zuschauer hatten einen riesigen Bedarf an Wasser.
Heinz-Jürgen Beste, Architekturhistoriker, Deutsches Archäologisches Institut (DAI):
"Woher das Wasser gekommen ist, können wir nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen. Es gibt zwei Möglichkeiten: einmal die Aqua Claudia, die über den Celio führt, die unmittelbar an das Colosseum anschließt. Die andere Möglichkeit wäre über den Esquilin, eben über die Domus Aurea, bzw. über die Titustherme, die auf der anderen Seite direkt an das Colosseum angrenzen."
Doch nicht die Versorgung der Zuschauer war der eigentliche Grund für den hohen Wasserbedarf - sondern Vespasians Vision eines Mehrzweckstadions. Nicht nur Gladiatorenkämpfe wollte er hier aufführen, sondern auch gigantische Seeschlachten, die Naumachien.
Die Frage, ob tatsächlich das Untergeschoss geflutet werden konnte, entzweite lange Zeit die Experten. Inzwischen gehen Wissenschaftler davon aus, dass die Naumachien während der Einweihungsphase tatsächlich stattgefunden haben. Kaiser Titus ließ den Traum seines Vaters wahr werden. Noch gab es die Wände im Untergeschoss nicht - und so konnte das Innere des Theaters zum riesigen Pool werden.
Heinz-Jürgen Beste:
"Für die Naumachie demontierte ich die Arena, plus das Stützensystem, das die Arena aus Holz getragen hat, und hatte die freie Fläche zur Verfügung. Diese Fläche beträgt ungefähr 2700 m², die konnte ich dann mit Wasser füllen. Allerdings nicht auf eine Höhe von 6 Metern - was heute der Unterschied ist zwischen dem Laufniveau der Arena und dem Untergeschoss - sondern höchstwahrscheinlich nur bis auf eine Höhe von 1,50 Meter. Meine Vorstellung ist, dass das Wasser demonstrativ gezeigt worden ist. Denn die Kanäle, die das Wasser in das Innere führen, gehen nicht runter bis auf die Sohle des Untergeschosses, sondern liegen in drei, vier Meter Höhe und treten dann aus, wie große Öffnungen, wie bei einem Springbrunnen oder wie bei einer Fontana, so dass der Zuschauer auch bewusst sehen konnte, dass das Wasser nun eintritt und das Untergeschoss geflutet wird."
Die Wasseroberfläche lag also unterhalb der normalen Höhe des Arenabodens - die Sicht von den hinteren Rängen war wohl nicht die Beste. Allerdings: Kleine Ruderboote konnten sich so am Beckenrand verstecken. Cassius Dio, ein römischer Senator und Geschichtsschreiber, berichtet:
"Denn Titus ließ dasselbe Theater plötzlich fluten und Pferde und Stiere und einige andere Haustiere hereinbringen, die abgerichtet waren, sich in dem nassen Element genauso zu bewegen wie an Land. Außerdem ließ er Leute auf Schiffen einfahren, die dort eine Seeschlacht aufführten."
Nach der Aufführung ließen Sklaven das Wasser ab. In der Nacht bauten sie den Arenaboden aus Balken und Brettern wieder auf - rechtzeitig für einen neuen Tag voll spektakulärer Kämpfe.