Logo

Die Mschatta-Fassade

Jahrhundertelang bauten Beduinen ihre Zelte jedes Jahr an einer Stelle südlich der jordanischen Hauptstadt Amman auf. Einige uralte Mauerreste boten guten Schutz vor Sandstürmen. "Mschatta" nannten die Beduinen den Ort, auf Deutsch: Winterlager.

Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die Ruhe plötzlich gestört. Die Hedschas-Bahn von Amman in die heilige Stadt Medina wurde gebaut, und die verfallenen Mauern waren im Weg. Im letzten Moment erkannte ein österreichischer Wissenschaftler, was für eine Kostbarkeit er vor sich hatte. Die Mauern bildeten ein Quadrat von 144 Metern Kantenlänge, gesichert mit fünfundzwanzig Türmen. Im Inneren eine Palastanlage, offenbar nie fertig gebaut: nur der Mitteltrakt war angelegt, mit Wohnräumen, Thronsaal und einem Hof. Wahrhaft spektakulär aber war der Teil der Außenmauern, der den Eingang umgab. Flankiert von zwei Türmen, war er über und über mit Reliefs bedeckt. Diese Fassade musste gerettet werden!

Bald erfuhr Wilhelm von Bode in Berlin davon. Er nahm sofort Kontakt mit dem Kaiser auf. Wilhelm II. - selbst großer Liebhaber von Kunst und Archäologie - besprach die Sache mit dem osmanischen Sultan. Und Abdülhamid II. löste das Problem auf einfache Weise: er schenkte seinem Freund Wilhelm kurzerhand die ganze Fassade. In 422 Kisten wurde sie nach Berlin geschafft und wieder aufgebaut, 32 Meter breit und 5 Meter hoch.

Seitdem haben sich Generationen von Besuchern in der Märchenwelt der Reliefs verloren. Über die Wandflächen und beide Türme zieht sich ein Zickzack-Band aus gereihten Akanthus-Blättern. Und rings um die Rosetten in unfassbarem Detailreichtum Szenen wie aus dem Paradies. In unerschöpflichen Variationen wachsen Weinstöcke aus dem Sockel oder aus zierlichen Gefäßen, wuchern und ranken in Kreisen und Spiralen bis in die Spitzen der Dreiecke. Überall sitzen Vögel, die von den Trauben picken, dazwischen Fabelwesen: Greifen, Pfauendrachen, Kentauren. Unter einigen der Rosetten stehen verzierte Brunnen, aus denen einträchtig Rinder und Löwen trinken. Dieses Motiv kennen wir aus der frühchristlich-byzantinischen Tradition: es symbolisiert den himmlischen Frieden.

Während die stehenden Dreiecke des Zickzack-Bandes fast vollständig mit Ranken bedeckt sind, sieht man in den hängenden Dreiecken deutlich, dass die Fassade nie fertig gebaut worden ist. Offenbar hat man die Arbeiten plötzlich eingestellt - niemand weiß genau, warum.

Das Problem: die Fassade trägt keine Inschrift, durch die man sie datieren könnte. Vermutlich wurde der Palast unter dem Kalifen al-Walid II. erbaut. Er trat seine Herrschaft im Jahre 743 an - aber schon im Jahr danach wurde er ermordet. Und das ist wahrscheinlich die Erklärung dafür, dass sein Palast nie fertig gebaut wurde. Heute stehen nur noch spärliche Überreste des königlichen Winterlagers auf dem Gelände des Flughafens von Amman. Die Fassade in Berlin aber ist das reichste und großartigste Beispiel für die Architektur des frühen Islam.